Kerstins Bücherreich

„Der Bücherwurm liest sogar die Bücher, die er rezensiert.“ Gabriel Laub (1928-98)

Archives: April 2021

 

Autor:

Markus Thiele
Verlag: Benevento
ISBN-13: 978-3-7109-0128-7
Gebundene Ausgabe 240 Seiten
Persönliche
Wertung:

 

 

Gibt es die Unfehlbarkeit des Rechts?

Inhalt:

Strafrichter Frank Petersen ist von sich und vor allem seiner Unfehlbarkeit als Richter überzeugt. Doch es häufen sich Zweifel an seiner Integrität, Urteile von ihm werden in höherer Instanz widerrufen. Aufgrund einer Entscheidung, die er aus Befangenheit hätte nicht treffen sollen, wendet sich sogar seine Familie von ihm ab, wirft ihm Vorurteile, gar Fremdenhass vor. Schließlich löst die Haftentlassung von Corinna Maier, die einst in seinem Gerichtssaal vor Urteilsverkündung den Mörder ihres Sohnes erschoss, alte Wunden auf. Petersen muss sich fragen, ob er seinem eigenen Urteil noch trauen darf.

Meine Meinung:

Unter Einbeziehung zweier wahrer Rechtsfälle – dem Fall Marianne Bachmeier, die 1981 den Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschoss, und dem Fall Amadeu Antonio Kiowa, der 1990 in Eberswalde Opfer rechtsradikaler Gewalt wurde – legt Markus Thiele nach „Echo des Schweigens“ hier erneut einen klugen Roman über die Unfehlbarkeit des Rechts und die Grenzen von Schuld und Gerechtigkeit vor.

Mit Petersen, wie er im Buch auch fast ausschließlich bezeichnet wird, ist es nicht leicht, warm zu werden. Eigentlich ist er tatsächlich der selbstherrliche, von sich überzeugte Mensch, den seine Frau in ihm sieht und der schlussendlich während seiner Reise zu sich selbst auch von außen nur Bestätigung und Rechtfertigung seiner Handlungsweise sucht. Dass er dabei Fehler einräumt und zur Selbsterkenntnis kommt, kann man ihm aber positiv anrechnen.

Die auf zweiter Handlungsebene erzählte Geschichte der Corinna Maier, die erst ihre große Liebe und dann auch noch ihren Sohn durch rechte Gewalt verliert, hat mich dagegen wesentlich mehr berührt. Was für ein Schicksal und für mich durchaus nachvollziehbarer Grund ihrer Kurzschlusshandlung. Die Lebenswege beider kreuzen sich nach dem Mord im Gerichtssaal und Verbüßen der Haftstrafe erneut und bedeuten nach anfänglichem Unverständnis doch so etwas wie Heilung.

Es handelt sich hier wahrlich nicht um einen Justizthriller, vielmehr um eine tiefgründige Betrachtung des Justizsystems mit all seinen Grauzonen und Tücken. Und um die ausführliche Charakterstudie eines Mannes des Gesetzes, der willens ist, sein Bestes zu geben und doch immer wieder an seine Grenzen gerät. Der Roman regt definitiv zum Nachdenken an und zeigt einmal mehr, dass es ein reines Richtig oder Falsch nicht gibt.

Kerstin at Mittwoch, April 28th, 2021 | Filed under: Literatur allg.,Thiele, Markus,Thriller/Krimi | RSS 2.0 | TB | Comments off

 

Autor:

Werner Milstein
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
ISBN-13: 978-3-579-07155-8
Taschenbuch: 207 Seiten
Persönliche
Wertung:

 

 

Beeindruckendes junges Leben – viel zu früh verloschen

Inhalt:

Anlässlich des im Mai 2021 anstehenden 100. Geburtstages der Widerstandskämpferin Sophie Scholl nimmt sich der Theologe Werner Milstein des leider viel zu kurzen Lebens dieser beeindruckenden jungen Frau an, deren Mut und Standhaftigkeit gerade in der heutigen Zeit noch immer beispielhaft sind. Zahlreiche Fotos, private Texte und Querverweise veranschaulichen ihren Werdegang und zeigen dabei auch die eher unbekannten Seiten der Sophie Scholl.

Meine Meinung:

Kaum einem wird der Name Sophie Scholl unbekannt sein, gehörte sie, gemeinsam mit ihrem Bruder Hans, doch fest zum Unterrichtsstoff an deutschen Schulen, und ich vermute mal in Ost wie West. Ihr tragisches Ende aufgrund ihres Einsatzes bei der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, wo sie sich mit großem Engagement gegen den Nationalsozialismus wendete – ebenfalls bekannte Tatsache. Aber da dürfte bei den meisten der Wissensstand auch enden.

Ich wollte mehr über Sophie erfahren und Werner Milsteins biografisches Sachbuch kam mir da gerade recht. So war ich sowohl überrascht von ihrer großen Religiosität als auch ihrer anfänglichen Begeisterung für das Regime, welches sie später so sehr verachtete, dass sie nicht zögerte, ihr Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Die Nationalsozialisten waren geschickt darin, den Freiheitswillen der jungen Menschen in der Pubertät auszunutzen, um sie fest in ihren Reihen zu integrieren und quasi einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Wer nicht mitzog, war ein Außenseiter (siehe auch „Die Welle“).

Aber Sophie hat die Taktik schnell durchschaut und war entsetzt über die Verbrechen dieser Diktatur, erst recht als der Weltkrieg losbrach. Sie selbst schien lange auf der Suche, zwiegespalten, aber immer unangepasst. Mit der Entscheidung, endlich aktiv etwas zu tun, fand sie ihren Sinn im Leben, betrachtete sich als kleines Rädchen, aber doch wichtigen Anstoß auf dem Weg in eine Welt der Freiheit auf allen Ebenen.

Durch die vielen Fotos und Textdokumente (manche leider etwas schwer zu lesen) lernt der Leser Sophie Scholl, aber auch ihre Familie, Freunde und Weggefährten aufs Intensivste kennen. Ihre vielseitigen Talente und Interessen, vor allem im kulturellen Bereich, sowie ihr unerschütterlicher Glaube haben mich stark beeindruckt.

Ein etwas sorgfältigeres Lektorat/Korrektorat hätte dem Buch gutgetan. Einerseits sind einige Jahreszahlen und Namen falsch angegeben, andererseits weist es überdurchschnittlich viele orthografische Patzer auf. Das sollte bei Preis und Umfang des Buches nicht passieren (biete gern meine Unterstützung an).

Insgesamt kann ich Sophies Lebensgeschichte aber besonders dem biografieinteressierten jungen Leser ans Herz legen. Sie zeigt auf bewundernswerte Weise, dass Menschen selbst unter den schlimmsten Umständen für ihre Überzeugungen einstehen können und es sich immer lohnt, für Gerechtigkeit und Freiheit zu kämpfen.

Kerstin at Freitag, April 9th, 2021 | Filed under: Biografie,Historisch,Milstein, Werner | RSS 2.0 | TB | Comments off

 

Autor:

Ciara Geraghty
Verlag: Goldmann
ISBN-13: 978-3-442-31555-0
Gebundene Ausgabe 379 Seiten
Persönliche
Wertung:
,5

 

Was wahre Freundschaft zu leisten imstande ist

Inhalt:

Iris leidet unter einer Form von Multipler Sklerose, die rasch voranschreitet und beschließt, ihrem Leben in der Schweiz ein Ende zu setzen. Ihre beste Freundin Terry erfährt gerade noch rechtzeitig davon und fängt sie am Hafen von Dublin ab. In dem Wunsch, ihre Freundin von dem Vorhaben abzubringen, bietet sie ihr ihre Begleitung an. Durch besondere Umstände hat sie bei der überstürzten Reise auch noch ihren demenzkranken Vater dabei und gemeinsam erleben die drei ein Abenteuer, quer durch England und Frankreich, das vor allem Terrys Leben völlig auf den Kopf stellt.

Meine Meinung:

Man könnte meinen, das Thema Suizid impliziert eine schwer verdauliche Lektüre, doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Zwar bildet es die Rahmenhandlung und ist auch immer präsent, jedoch vermag die Autorin dem Roman eine unheimliche Leichtigkeit zu geben.

Iris’ Stärke ist bewundernswert und sie genießt ihre letzten Tage in vollen Zügen. Doch es ist vor allem die Ich-Erzählerin Terry, die auf diesem Roadtrip von Irland bis in die Schweiz eine erstaunliche Wandlung durchmacht. Stets die verantwortungsvolle Mutter und Ehefrau beginnt sie ihr Leben zu überdenken, hinterfragt sich selbst und ihre Ehe und stellt fest, dass es da noch mehr geben muss.

Rührend kümmern sich beide um den demenzkranken Vater, der nicht weiß, wie er da eigentlich hineingeraten ist, aber auch immer wieder für humorvolle Höhepunkte sorgt. Die tiefe Freundschaft der beiden ist voller Herzenswärme beschrieben, man begleitet sie gern auf ihrem Abenteuer, auch wenn ständig die Angst vor dem traurigen Ende mitschwingt. Aber auch Loslassen und Akzeptanz gehören zu dieser Freundschaft und so bleibt der Leser schlussendlich mit einem guten Gefühl zurück.

Ein Roman, den ich gern weiterempfehle, weil er tiefe Emotionen weckt, zum Nachdenken anregt und trotz des schweren Themas eine gewisse Leichtigkeit versprüht.

Kerstin at Montag, April 5th, 2021 | Filed under: Frauen,Geraghty, Ciara,Literatur allg. | RSS 2.0 | TB | Comments off
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