Rezension: “3096 Tage”
Autor: |
Natascha Kampusch |
Verlag: | Ullstein |
ISBN-10: | 3548374263 |
Taschenbuch | 288 Seiten |
Persönliche Wertung: |
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ausgelesen: | 16.01.2011 |
Woher nimmt sie diese Kraft?
Eine Inhaltsangabe zu diesem Buch kann ich mir sparen, denn der spektakuläre Entführungsfall der Natascha Kampusch sorgte schließlich weltweit für Schlagzeilen und sollte jedem hinreichend bekannt sein. Ebenso schwierig ist es aber, eine Bewertung zu diesem Buch abzugeben. Steht es mir überhaupt zu, darüber zu urteilen? Vielleicht gebe ich einfach nur ein paar meiner Eindrücke wieder.
Mit Hilfe von zwei Ghostwriterinnen beschreibt Natascha in diesem Buch die wahre Geschichte ihres Martyriums. Diese Hilfe möchte ich ihr auch gar nicht absprechen, denn wer ist schon in der Lage, besonders wenn er keine normale Schulzeit genossen hat, ein Stück Literatur zu erschaffen? So wurden ihre Gedanken und Gefühle, Eindrücke und schmerzliche Erinnerungen aus Gesprächen von Kennern in ein gut lesbares Ganzes gebracht.
Natascha beschreibt im ersten Kapitel kurz ihre Kindheit, die bereits von Entbehrungen, vor allem durch mangelnde Liebesbezeugungen sowie Gewalttätigkeiten, geprägt ist. Danach schildert sie eindrücklich und ausführlich die 3096 währende Gefangenschaft beim Täter Wolfgang Priklopil sowie ihre Flucht nach über acht Jahren.
Beim Lesen des Buches fühlt man sich hin und her gerissen. Wer es nicht selbst erlebt hat, kann sich einfach kaum die psychischen und später auch physischen Qualen vorstellen, die Natascha erleiden musste. Ihre Einstellung zum Täter, der nicht nur böse war, kann ich sehr gut nachvollziehen und auch ihre Weigerung, sich mit dem Stockholm-Syndrom abstempeln zu lassen. Ihr teilweises Entgegenkommen war schließlich nichts anderes als eine weitere Überlebensstrategie, die sie instinktiv gewählt hat. Dennoch ließ sie sich nie vollständig unterkriegen, setzte sich selbst Grenzen. Diese Verweigerung verhinderte, dass sie an ihrem Schicksal zerbrach.
Wahrscheinlich hat die Grundeinstellung ihrer Mutter nach dem Motto „was einen nicht umbringt, macht einen härter“ einen großen Beitrag geleistet, dass aus dem verängstigten 10jährigen Mädchen eine selbstbewusste Frau wurde, die schlussendlich doch den Mut fand, aus ihrem Gefängnis auszubrechen, wobei die von ihr selbst aufgebauten Mauern aus Angst wahrscheinlich schwerer zu überwinden waren, als die realen Wände des Verlieses.
Man merkt der Biografie an, dass sie nicht geschrieben wurde, um die Sensationslust der Medien zu befriedigen, denn einige Teile werden ausgelassen und wohl immer ein Geheimnis bleiben, mit dem Natascha leben muss. Sie selbst möchte damit einen Schlussstrich unter ihr verlorenes Erwachsenwerden ziehen und das sei ihr gegönnt, wobei ich mir auch sicher bin, dass sie die Schrecken dieser Zeit ein Leben lang begleiten werden. Ich wünsche Natascha, dass sie dennoch weitgehend glücklich wird und den von ihr angestrebten Weg gehen kann. Ihr Buch ist ein beeindruckendes Zeugnis, wie viel Kraft in einem Menschen stecken kann, der sich für das Leben entscheidet.